Das neugeborene Baby im Krankenhaus – mit 3 Tropfen Blut erkennt man 33 verschiedene Erkrankungen.
Silvia König hat Prof. Dr. Arnold Pollak, Mitglied unseres medizinischen Beirats, interviewt.
Silvia König: Ein Baby kommt auf die Welt, welche Untersuchungen werden standardmäßig im Krankenhaus durchgeführt? Was wird genau untersucht?
Prof. Pollak: In Österreich gibt es den Mutter Kind Pass, er dient der gesundheitlichen Vorsorge von Schwangeren, Neugeborenen, Säuglingen, Kleinkindern und Jugendlichen.
Im Krankenhaus wird das Kind genau intern und neurologisch untersucht. Ergänzend werden auch Blut- und Ultraschalluntersuchungen durchgeführt. Es werden besonders alle vitalen Funktionen wie Herz, Lunge, Atmung und Kreislauf untersucht.
Es wird kontrolliert, ob irgendwelche angeborenen Fehlbildungen vorhanden sind.
Die Dokumentation der mütterlichen Vorsorgeuntersuchungen wird genau kontrolliert, wie zum Beispiel das Vorliegen von serologischen Daten von Infektionskrankheiten wie
Hepatitis B, Röteln, Toxoplasmose, Zytomegalie u.v.a.
Wichtig ist auch die Kennnis von auffälligen Pränatalbefunden aus dem Organscreening (Ultraschall) bzw. pränatale Magnetresonanz
Die Kinder müssen in der Neugeborenen Periode deshalb auch ganz genau untersucht werden, denn sogar sehr seltene Probleme und Erkrankungen, ja sogar Tumore u.a. mehr können vorkommen.
Ganz besonders wichtig ist die Beurteilung der Neurologie des Neugeborenen.
SK: Was wird bei den neurologischen Untersuchungen angeschaut?
Prof. Pollak: Die Erfahrung des Arztes spielt hier die größte Rolle. Der Arzt beurteilt Haltung , Reaktionen, Reflexe des Kindes, den Tonus der Muskulatur etc.. weiters ob Streckmuster vorliegen oder ob der Beugetonus vorherrscht. Man schaut ob die „position of comfort“ vorliegt.. Der Arzt beurteilt auch Kopfform, Kopfhaltung, die Fontanelle und vieles Andere mehr.
SK: Welche Untersuchungen werden noch im Krankenhaus durchgeführt?
Prof.Pollak: Es werden Ultraschall Untersuchungen von Hüfte und Niere gemacht und ganz besonders wichtig ist der Hörtest, um möglichst früh angeborene Hörstörungen zu erkennen. Auch wird die Blutgruppe des Kindes bestimmt.
Das Kind wird zwischendurch untersucht, bzw, ggf. behandelt, wenn den Krankenhausschwestern Besonderheiten auffallen. Wenn das Kind zum Beispiel nicht gut trinkt, allzu stark an Gewicht verliert, stark gelb, blass oder blau wirkt oder sonst wie auffällt (z.B. mit Atmung, Kreislauf, Temperatur etc.) zu wenig Harn hat oder Stoffwechselprobleme vorliegen.
Falls erforderlich ist, wird das Kind in den Inkubator/Wärmebett gelegt, engmaschig beobachtet, Laboruntersuchungen (z.B. Blutgasanalysen, Blutzucker,Infektionsparameter etc) getätigt und Atmung, Herz und Kreislauf am Monitor überwacht.
Vor der Entlassung aus Krankenhaus erfolgt routinemäßig die Entlassungsuntersuchung und die Dokumentation im Mutter- Kind- Paß.
SK: Was passiert wenn das Kind zu stark Gelb ist?
Prof. Pollak: Das Bilirubin im Blut oder über die Haut wird als Parameter der Gelbsucht gemessen. Es kommt darauf an wann die Gelbsucht auftritt (also an welchem Tag nach der Geburt) und wie hoch sie ist. Dann ist es ganz wichtig zu schauen welche Blutgruppenkonstellation von Kind und Mutter vorliegen, ob ev. eine Unverträglichkeit vorhanden ist. Abgesehen von Rhesusunverträglichkeiten, kann bei Vorliegen der Konstellation Mutter Blutgruppe 0 und Kind A oder B die Gelbsucht (Ikterus) stärker werden. Je früher die Gelbsucht auftritt umso gefährlicher ist sie. Gelbsucht am 1.Lebenstag ist nicht normal, auf der anderen Seite sind am 5. Tag Bilirubinwerte von 13, 14 und 15 völlig normal.
SK: Wird auch das Blut beim Neugeborenen untersucht?
Prof. Pollak: Ja, natürlich. Man entnimmt 3 Tropfen Blut aus der Ferse des Neugeborenen und trägt es auf eine Filterkarte auf, dann wird das Blut untersucht. Bei allen Kindern werden routinemäßig Blutzucker, Hämoglobin und ggf. Blutgase bestimmt. Mit dem Fersenstich wird das Blut auf angeborene Erkrankungen besonders Stoffwechselerkrankungen und hormonellen Erkrankungen untersucht. In Österreich, wird das Screening bei allen Neugeborenen an der Univ. Kinderklinik durchgeführt und die Kärtchen dorthin gesendet. Derzeit wird nach 33 angeborenen Stoffwechselerkrankungen aber auch Hormonerkrankungen untersucht. Am Bekanntesten sind Schildrüsenerkrankung oder auch AGS: Andrenogenitales Syndrom, (Nebenniere/Genitalerkrankung). Neuerdings können auch Speicherkrankheiten, sogenannte lysosomale Erkrankungen aufgedeckt werden.
SK: Das sieht man alles im Fersenblut des Neugeborenen?
Prof. Pollak: Ja, damit kann man alle diese Krankheiten diagnostizieren und behandeln bevor eine schwere Schädigung des Kindes aufgetreten ist und nicht erst entdeckt, wenn bereits der Schaden entstanden ist, denn dann ist es zu spät. Das ist der Sinn dieses Stoffwechsel -screenings.
Genetische Risikoanalyse ist bei Kindern nicht zu empfehlen
Silvia König: Was halten Sie von “genetischer Risikoanalyse” bei Kindern? Empfehlen Sie es?
Prof. Pollak: Nur bei gezieltem Verdacht.
Vorsorgeuntersuchungen für Kinder sind ab der Geburt zu machen
Silvia König: Würden Sie eine Vorsorgeuntersuchung für gesunde (ohne konkrete Beschwerden) Kinder empfehlen? Ab welchem Alter?
Prof. Pollak: Ja, ab der Geburt müssen Vorsorgeuntersuchungen vom Kinderarzt gemacht werden, wie im österreichischen Mutter/Kind Pass angegeben. Die ersten Monate sollte man alle 4 Wochen zur Kontrolle gehen. Das Kind wird gemessen, abgewogen, das Kind wird untersucht ob Auffälligkeiten vorliegen.
In den ersten Lebenswochen sind eine allgemeine Untersuchung und genaue Beratung der Eltern vorgesehen. Die somatische Entwicklung und bes. die Neurologie werden überprüft, die Augenreaktion und das Hörvermögen werden getestet, Kopf- (Fontanelle, Kopfumfang)-Herz und Lunge werden untersucht und orthopädische Besonderheiten werden beurteilt.
Der Arzt erkundigt sich auch nach dem Trinkverhalten des Kindes und prüft ob sich das Kind altersgerecht entwickelt auch emotionell. Außerdem informiert der Arzt die Eltern über weitere Vorsorgemaßnahmen , besonders sorgfältig über das moderne Impfprogramm.
SK: Werden diese Untersuchungen vom Kinderarzt durchgeführt oder von Fachärzten wie zum Beispiel Dermatologen, Zahnärzte, Augenärzte?
Prof. Pollak: In den ersten Kinderjahren können diese Untersuchungen vom Kinderarzt gemacht werden, bei Auffälligkeiten werden Spezialärzte hinzugezogen.
SK: Wann sollte ein Mädchen zum ersten Mal zum Gynäkologen?
Prof. Pollak: Wenn Sie in die Pubertät kommt. Die weibliche Pubertät bezeichnet die Zeitspanne, in der sich ein Mädchen körperlich zur Frau entwickelt.
Sport & Ernährung – Sport soll Spaß machen und Essen soll schmecken.
SK: Welche Sportarten empfehlen Sie bei Kindern?
Prof. Pollak: Schwimmen, Leichtathletik, Fuß/Handball, Eislaufen, Ballett für Mädchen (aber nicht extrem und zu häufig), auch bei Tennis muss man aufpassen, dass nicht zu häufig gespielt wird, da es ein einseitiger Sport ist. Der Sport muss Spaß machen, Kinder sollen unterschiedliche Sportarten ausprobieren, so kann es selbst herausfinden, was am meisten Spaß macht. Wenn die Sportart ab und zu gewechselt wird, belastet das Kind Knochen, Muskeln und Sehnen nicht einseitig.
SK: Welche Sportarten empfehlen Sie nicht bei Kindern?
Prof. Pollak: Reiten lieben bes. die Mädchen, ist aber wegen der Reitunfälle nicht ungefährlich.
SK: Dürfen Jugendliche/Teenager ins Fitnesscenter und bereits Hanteln heben?
Prof. Pollak: Nein.
SK: Wann ist ein Kind übergewichtig? Was bedeutet “untergewichtig” und wie unterstützt man dieses Kind aus psychologischer Hinsicht?
Prof. Pollak: Das Essen soll schmecken und man soll es nicht ins Zentrum des Lebens rücken, es soll sich nicht alles um das Essen drehen. Das Kind weiß wieviel es benötigt, wenn es dazu noch ausreichend Sport betreibt, dann sollte kein Übergewicht vorhanden sein. Hier spielt das Vorbild der Eltern eine große Rolle. Man soll dem Kind eine gute, ausgewogene Ernährung anbieten und das Essen soll schmecken.
SK: Ist eine Diät sinnvoll? Ist es sinnvoll zu sagen: “Du musst bitte mehr essen oder hör auf zu essen“?
Prof. Pollak: Nein, wieviel Kinder essen, ist individuell verschieden und kann von Tag zu Tag unterschiedlich sein. Jedes Kind hat ein anderes Essverhalten und isst unterschiedlich viel.
Psychologie – Wie kann ich mein Kind vor Mobbing schützen?
SK: Wie unterstützen Sie ein Kind in der Trotzphase oder in der Pubertät aus psychologischer Hinsicht?
Prof. Pollak: All diese Entwicklungsphasen sind durch große Veränderungen und damit einhergehenden Konflikten gekennzeichnet. Es ist der langfristige Ablösungsprozess des Kindes von den Eltern, währenddessen es einfach schwierigere und leichtere Zeiten gibt. Wenn wir dem Ganzen einem Namen geben können, können wir als Eltern auch leichter damit umgehen.
Das Kind entwickelt in dieser Phase ein neues Selbstbild, die körperlichen und sozialen Veränderungen, die dem Erwachsenen gar nicht so auffallen, muss das Kind durchlaufen. Das Leben besteht aus Veränderung, nichtsdestotrotz geht mit ihnen Unsicherheit einher und natürlich machen sie auch Angst. Kein Wunder, wenn das Kind plötzlich unsicher und/oder launenhaft ist und wieder mehr Verständnis, Zuwendung und Nähe braucht!
SK: Wie erkennen Eltern ob Ihr Kind gemobbt wird?
Prof. Pollak: Von Mobbing betroffene Kinder können sehr unterschiedlich reagieren: einige sind eingeschüchtert und ziehen sich zurück, um keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Andere reagieren aggressiv oder werden krank.
SK: Wie können Eltern dem Kind helfen?
Prof. Pollak: Eltern sollten auf mögliche Anzeichen achten und in einem Gespräch Unterstützung anbieten. Bei schweren Verstößen können Eltern rechtliche Schritte einleiten und die Verantwortlichen der Polizei anzeigen.
Wichtige Frage bei der Auswahl des Spitals: Wofür benötige ich es?
SK: Ist das St. Anna Kinderspital in Wien das beste Kinderspital in Wien? Gibt es noch Andere, die Sie kennen?
Prof. Pollak: Die Frage ist immer: Wofür benötige ich das Spital?
Das St. Anna Krankenhaus ist ein Schwerpunktspital für hämatologisch onkologische Erkrankungen zum Beispiel Leukämie.
Für alle anderen schweren oder chronischen Erkrankungen ist nur das Allgemeine Krankenhaus (AKH) zuständig.
Für Routine Krankheiten, zum Beispiel wenn ein Kind erbricht, Infusionen braucht oder ein Säugling hohes Fieber hat, kann man in jedes Kinderspital gehen.
SK: Gibt es noch andere Kinderspitäler in Wien?
Prof. Pollak: Das Wilhelminenspital, das neue SMZ Nord, das SMZ Süd, haben auch gute Kinderabteilungen. Das Sozialmedizinische Zentrum Süd – Kaiser Franz Josef Spital mit Gottfried von Preyer´sches Kinderspital ist auch ein empfehlenswertes Kinderspital.
SK: Wie ist die Aufnahme für Privatspital?
Prof. Pollak: Prinzipiell ist ein krankes Kinder besser in einem Kinderspital aufzunehmen.
Wenn Sie einen Kinderarzt haben, kann er auch mit einem älteren Kind/Jugendlichen ein Privatspital wie das „Goldene Kreuz“ oder die Döblinger Privatklinik wählen.
SK: Zum Abschluß, können Sie uns noch eine letzten Satz erzählen? Etwas was Ihnen gerade einfällt.
Prof. Pollak: Ich hatte heute 2 Patienten aus Bratislava, die kommen zu mir für die Untersuchungen nach Wien. Diese Familien kennen mich seit der Geburt. Die zweite Familie waren Freunde der ersten Familie. Hier spielt einfach die Bindung und das Vertrauen eine wichtige Rolle.
SK: Vielen Dank für das Interview!